Cover
Titel
Griechische Geschichte. ca. 800–322 v. Chr.


Autor(en)
Schulz, Raimund; Walter, Uwe
Reihe
Grundriss der Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
656 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katarina Nebelin, Institut für Geschichte, AAU Klagenfurt

Die Reihe „Oldenbourg Grundriss der Geschichte“ (OGG) hat mittlerweile selbst eine rund fünfundvierzigjährige Geschichte. Das fünfköpfige Herausgebergremium1 hält am bewährten Grundkonzept der Reihe fest, das Enzo Bünz vor inzwischen auch schon beinahe zwanzig Jahren in den ‚Sehepunkten‘ als „bestechend und praktikabel“ bezeichnet hat: „ausgewiesene Fachleute“ verfassen „eine konzise Gesamtdarstellung und eine auf die wesentlichen Punkte konzentrierte Sichtung der Forschungsdiskussion“, untergliedert in „Darstellung – Grundprobleme und Tendenzen der Forschung“ und Literatur.2 Diese Dreiteilung ermöglicht einen knappen ersten Einblick ebenso wie ein tiefergreifenderes Eintauchen in Forschungsdiskussionen und Fachliteratur und lässt sich zudem flexibel an neue Entwicklungen anpassen: aktuelle Schwerpunktsetzungen, thematische Erweiterungen, aber auch Auslagerungen können problemlos ins Konzept eingepasst werden, wie der neue OGG-Band zur griechischen Geschichte überzeugend beweist.

Die beiden Verfasser Raimund Schulz und Uwe Walter erweisen sich dabei als gut eingespieltes Team, das einen würdigen Nachfolgeband für die 1980 in erster Auflage erschienene und bis 2008 vielfach aktualisierte „Griechische Geschichte“ von Wolfgang Schuller vorlegt. Die auffälligste Abweichung vom üblichen OGG-Konzept ist dabei die durch den Umfang bedingte Aufteilung des Stoffes auf zwei Bücher, sodass der Darstellungsteil im ersten, Forschung und Literatur im zweiten Band stehen. Angesichts des langen Zeitraums von fast fünfhundert Jahren, den die beiden Autoren behandeln, scheint das auch gerechtfertigt. Dennoch wäre es interessant zu wissen, ob und wie stark die Verkaufszahlen der beiden Bände differieren.

Zur Einordnung des Doppelbandes bietet sich ein Vergleich mit Schullers Vorgängerband sowie mit dem neuen OGG-Band zur „Entstehung Griechenlands“ von Christoph Ulf und Erich Kistler an, dessen Inhalt sich zeitlich und thematisch teilweise mit Schulz’ und Walters Buch überschneidet. Während eine Reihe von Sachthemen (z.B. Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Familie und Geschlechtergeschichte, Religion), die Schuller in seinem Grundrissband behandelt hat, inzwischen in andere OGG-Bände beziehungsweise in andere wissenschaftliche Reihen „ausgelagert“ wurden, worauf auch die Autoren in ihrem Vorwort hinweisen (S. VIIf.), gelingt es Schulz und Walter, die wesentlichen geographischen, klimatischen, vorgeschichtlichen, ökonomischen und hauswirtschaftlichen Gegebenheiten (als ‚Voraussetzungen‘ und ‚Ordnungsrahmen‘) so in ihre Darstellung einzubeziehen, dass die Zusammenhänge auch für diejenigen nachvollziehbar sein dürften, die keine oder wenige Vorkenntnisse über diese Themenfelder besitzen. Ulf und Kistler wiederum verfolgen einen interdisziplinären Ansatz, der sich auf archäologische und historische Methoden und Befunde stützt und dezidiert theoriegeleitet vorgeht.3

Auch Schulz und Walter zeigen sich interdisziplinären Zugängen gegenüber aufgeschlossen, distanzieren sich aber von Modebegriffen und -theorien wie ‚Konnektivität‘ und Postkolonialismus, da sie in die völlige Dekonstruktion des eigenen Forschungsgegenstandes führen und kein Erklärungs- und Orientierungspotential bieten können (S. 6). Die antiken Griechen, so die beiden Autoren, müssten nicht durch radikale Abkehr von den alten ‚Meistererzählungen‘ davor gerettet werden, als ‚tote weiße Männer‘ zu enden; vielmehr seien sie „im Einklang mit der höchst lebendigen Forschung“ angesichts ihrer „Kreativität“, „Vielfalt, Gestaltungsfreude, Anpassungsfähigkeit“ als „überaus zeitgemäße[r], ja zukunftsweisende[r] Gegenstand“ zu betrachten (S. 6f.). Insgesamt zeichnet sich der Band durch eine gediegene Modernität aus, die souverän auf jene Fachtraditionen zugreift, die der kritischen Überprüfung standhalten und sich noch immer als anregend erweisen beziehungsweise in aktuelle Forschungsnarrative einfügen lassen – es ist wohl kein Zufall, dass der am häufigsten zitierte Autor Jacob Burckhardt ist.

Der Darstellungsteil gliedert sich in „Voraussetzungen“, „Grundstrukturen und Basisprozesse“; „Facetten der griechischen Staatenwelt“ zu verschiedenen Poleis, polisübergeifenden Strukturen und Regionen, an die sich zwei Kapitel zur ‚klassischeren‘ außenpolitischen und militärischen Ereignisgeschichte und (Vor-)Machtpolitik („Die Griechen machen große Politik“) sowie zu „Neue[n] Machtkonstellationen und Transformationen des Politischen“ anschließen. Die generelle Betonung der Vielfalt, (regionalen) Eigenständigkeit, Pluralität und Multipolarität der griechischen Welt zieht sich als roter Faden durch das gesamte Werk. Athen und Sparta werden nicht als herausragende Sonderfälle, sondern als Teile einer vielschichtigen Poliswelt gesehen; andere Poleis, Ethne, Bundesstaaten und Regionen werden gleichberechtigt einbezogen. Der Schwerpunkt liegt aber klar auf der griechischen Kultur. Von deren ‚Nachbarkulturen‘ werden nur Perser und Karthager zu Beginn des Oberkapitels „Die Griechen machen große Politik“ ausführlicher behandelt, weil es hier zu militärischen Konfrontationen kam, die auch direkte Folgen für die Entwicklung polisübergreifender Herrschaftsformen innerhalb der griechischen Welt hatten. So wird etwa die Vorbildfunktion der persischen Herrschaftsorganisation für Athens Seebund hervorgehoben.

Dass Archaik und Klassik als zusammenhängendes Ganzes behandelt werden, hat den Vorteil, dass die Autoren übergreifende Kontinuitäten, aber auch längerfristige Veränderungen und Transformationsprozesse vollständig in den Blick nehmen können, statt willkürliche Schnitte setzen zu müssen. Dies wirkt auch einem Grundproblem entgegen, das sich bei Einführungen und Überblicksdarstellungen zum ‚vorhellenistischen‘ Griechenland häufiger beobachten lässt: Während Darstellungen zur Bronze- und frühen Eisenzeit bis hin zur Archaik schon aufgrund der Quellenlage meist interdisziplinär vorgehen und archäologische Befunde, aber auch Epos und Lyrik als wichtige Quellengattungen sowie ethnologische und anthropologische Methoden und Fragestellungen einbeziehen 4, dominiert mit Blick auf die Epoche der Klassik noch immer eine sehr viel ‚klassischere‘ Betrachtungsweise, die sich auf traditionelle Felder wie Verfassungsgeschichte, Militärgeschichte und Außenpolitik als Abfolge von Kriegen und dominierenden Großmächten fokussiert5. Auch bei Schulz und Walter ist der kulturanthropologische Ansatz stärker in den Abschnitten zu den Grundlagen und Voraussetzungen der griechischen Kultur als in den späteren Kapiteln zum fünften und vierten Jahrhundert vertreten, aber weil diese Kapitel nicht auf verschiedene Bände aufgeteilt sind, bleibt der innere Zusammenhang leichter erkennbar.

Die beiden Bände sind in einer klaren, gut verständlichen Sprache formuliert und bieten mehrere hilfreiche Anhänge: regional untergliederte chronologische Übersicht, Glossar, Karten, Indices. Ausstattung, thematische Schwerpunktsetzung, der Überblick über aktuelle Forschungstendenzen und Fragestellungen und die Bibliographie überzeugen auf ganzer Linie und machen diese Bände zum empfehlenswerten Ausgangspunkt für alle, die eine gute Grundlage für eine vertiefende Beschäftigung mit der griechischen Geschichte erhalten möchten.

Anmerkungen:
1 Kein generisches Maskulinum; es handelt sich tatsächlich um fünf Herausgeber. Erwähnt sei hier auch, dass von bisher 53 erschienenen OGG-Bänden nur vier von Frauen verfasst worden sind.
2 Zitate aus Enno Bünz, Rezension von: Ulf Dirlmeier / Gerhard Fouquet / Bernd Fuhrmann, Europa im Spätmittelalter 1215–1378, München 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], http://www.sehepunkte.de/2005/12/5982.html (12.01.2024).
3 Vgl. dazu ausführlicher Oliver Grote, Rezension zu: Christoph Ulf / Erich Kistler, Die Entstehung Griechenlands, Berlin 2020, ISBN 978-3-486-52991-3, in: H-Soz-Kult, 04.01.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29620 (12.01.2024).
4 Prägnante Beispiele sind etwa der bereits genannte OGG-Band von Ulf und Kistler sowie der Archaik-Band von Elke Stein-Hölkeskamp in der Reihe „Geschichte der Antike“ bei C.H. Beck: Dies., Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer, München 2015.
5 Vgl. hierfür etwa den oben, Anm. 4, angeführten Band von Elke Stein-Hölkeskamp mit dem in der gleichen Reihe erschienenen Band von Sebastian Schmidt-Hofner, Das klassische Griechenland. Der Krieg und die Freiheit, München 2016.

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